Rede von Ronald Schützler
Viele Menschen setzten ein starkes Zeichen für Demokratie in Waren. Samuel von Frommannshausen eröffnete die Kundgebung. Als Redner tritt Ronald Schützler auf.
„Was ist eigentlich los, nicht nur hier in Waren? Menschen werden z. T. dünnhäutiger,
Vegetarier gegen Menschen, die Fleisch essen oder umgekehrt, Schlanke gegen Dicke, Dicke gegen Dünne, Heterosexuelle gegen Homosexuelle.
Bei Anderen steigt der Blutdruck, wenn sie Menschen aus anderen Kulturen begegnen, ausgenommen im Auslandsurlaub natürlich. Linke gegen Rechte, Rechte gegen Linke und der Typus: Ich bin grundsätzlich dagegen, oft nicht sehr freundlich und meist unzufrieden. In der Regel sind es dann die da oben, die Schuld sind, woran auch immer, immer andere, man ist Opfer.
Und oft sind diejenigen lauter. Lautstärke kann hier durchaus Inhaltslosigkeit überdecken. Und wenn dann auch noch Gewalt, Zerstörung mit im Spiel sind, dann muss die Gesellschaft wieder ran, bezahlt die Schäden, die Einsatzkräfte u.v.m..
Demonstrieren ist ein Grundrecht in der Demokratie, aber bitte friedlich und möglichst nicht zu Lasten der Gesellschaft. Die überwiegende Mehrheit, die Stillen, nimmt man in der Öffentlichkeit weniger wahr. Das sind diejenigen, die zufrieden sind und es wertschätzen, hier leben zu dürfen, unter Bedingungen, die nirgendwo besser sind auf unserer Erde. Und in Waren lebt sich’s doch besonders gut… oder?
Das heißt nicht unbedingt, dass alle Zufriedenen Fans unserer aktuellen, aber frei gewählten, Regierung sind und alles so toll finden, was da z. Z. so abgeht. Aber sie sind durch und durch Mitgestalter, Demokraten.
Woran liegt’s, das „dagegen sein“, Feindbilder sind im Kopf. Fehlende Orientierung, weil Veränderungen in rasender Geschwindigkeit passieren. Zunehmende Komplexität, was hängt womit zusammen, Informationsflut ohne Ende, ein gefühltes Durcheinander.
Was ist die Folge? Viele basteln sich im Kopf eine Realität, die einfach ist und somit zu verstehen. Vereinfachung, zurück zur guten alten Zeit z. B., die es übrigens nie gab. Populisten bedienen sich hier äußerst erfolgreich. Verschwörungstheorien werden geboren und das geht wie das Brezelbacken. Informationsflut im Netz.
Ja, das Internet. Mit ihm gibt es enorme Chancen. Sie werden übrigens fantastisch genutzt. Grenzenlose Kommunikation ist möglich. Wir können Urlaubsbilder mit dem Smartphone machen und in Bruchteilen von Sekunden um den Globus schicken. Vor 30 Jahren wäre ich für diese Prognose wohl in die Klapper gekommen.
Das Netz ist ein Segen für die Wissenschaft, den Fortschritt. Es kennt keine Grenzen und hier sind sich alle einig: Hier wollen wir keine Einschränkungen, keine Grenzzäune, hier nicht.
Und die Risiken? Klar, die gibt’s reichlich. Die schärfste Waffe ist m. E. nicht die Atombombe. Es ist die gezielte Desinformation mit dem Ziel, die demokratischen Gesellschaften zu spalten nach dem Motto „teile und herrsche“.
Und das gelingt m. E. zunehmend. Menschen werden starr in ihren Überzeugungen, intolerant, haben zementierte Bilder im Kopf. Das gibt Sicherheit. Eine gefühlte Wahrheit gewinnt. 3 mal 3 ist dann z. B. 10. 10 ist eben ein alternativer Fakt, der durch Trump hoffähig geworden ist. Und wenn jemand lange genug danach googelt, dass es 10 ist, der taucht ein in eine Blase, die ihm das bestätigen wird.
Und er wird danach im Netz immer öfter darauf stoßen, dass 3 mal 3 10 ist. So sind die Algorithmen. Total interessant, aber gefährlich für die Demokratie. Fallen wir nicht darauf rein. Niemand wird in einer demokratischen Gesellschaft ausgegrenzt, auch nicht die, die behaupten, 3 mal 3 ergibt 10. Manchmal höre ich: Man darf ja nicht mehr alles sagen“.
Das ist so nicht richtig. Es gibt, im Rahmen der demokratischen Spielregeln, keine staatlichen Einschränkungen, jedoch u. U. gesellschaftlichen Widerstand. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Mad Mike, oder auch Rocketman, nicht dumm, technisch begabt, einer von tausenden Flacherdlern, die gut organisiert sind, Konferenzen abhalten und fest daran glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Am 22. Februar 2020 war es denn soweit, der Tag der Wahrheit. Mad Mike wollte hoch hinaus um den Beweis dafür anzutreten, dass es sich um eine Scheibe handelt. Seine selbstgebaute Rakete, mit Wasserdampf angetrieben, startete. Das Ganze ging schief. Die Schwerkraft hatte gewonnen und Mad Mike beschleunigte mit exakt 9,81 m/sec2 senkrecht zurück zur Erde und war selbst flach, platt, tot.
Tragik und Komik liegen oft dicht beieinander. Gut, o.k., die Flacherdler sind wohl keine Gefahr für die Demokratie, aber das Beispiel soll zeigen, wie schräg man unterwegs sein kann, auch ohne böse Absicht. Aber es geht eben auch zunehmend mit böser Absicht.
Die gespaltene Gesellschaft, hört man oft. Was ist das? Wer spaltet? Hält hier jemand die Axt? Stimmt das überhaupt? Gibt es das auch in Diktaturen, Autokratien oder ist das nur in Demokratien möglich?
Ich denke ja, weil wir hier in einer offenen Gesellschaft leben, die zwangsläufig reichlich Einfallstore hat. Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt, freies offenes Internet, nicht so in Diktaturen.
Das macht die Demokratie verletzlich, denn sie setzt ein hohes Maß an Eigenverantwortung voraus. Was heißt das?
Jeder Einzelne ist mitverantwortlich für das Ganze. Demokratie ist anstrengend, weil man nicht blind oder von Angst getrieben Diktatoren, Demagogen folgt, sondern gestalten kann, ja muss, im Beruf, im Ehrenamt, in Vereinen.
Manchmal denke ich, zu satt ist auch nicht unbedingt gut. Jeder kennt das Gefühl. Der Bewegungsdrang lässt deutlich nach, wenn wir gut gegessen haben, satt sind. Die Couch ruft. Oder folgendes Zitat: „Wenn jemand Unternehmer des Jahres wird, empfehle ich meinen besten Freunden, die Aktien dieses Unternehmens zu verkaufen“.
Wer schrieb das im Jahr 2000 in seinem Buch „Die Macht der Freiheit“? Olaf Henkel, damals Mitbegründer und Co-Vorsitzender einer 2013 gegründeten Partei, die sich seinerzeit gegen die Eurorettungspolitik stellte. Gründungsmitglieder waren Ökonomen, Wirtschaftsprofessoren, hochkarätige Persönlichkeiten. Sie wandten und wenden sich mit Grausen von der Partei ab. Henkel sprach 2015 von einer NPD light. Zitat Henkel: „Wir haben ein richtiges Monster geschaffen“.
Diese Partei hat heute nichts mehr gemein mit ihren Anfängen, der ursprünglichen Idee. Ich halte sie, nein, sie ist eine Gefahr für unsere Demokratie, die AfD.
Auch Olaf Henkel trat 2015 aus dieser Partei aus und engagiert sich nach wie vor für Demokratie und Menschenrechte. Das hier nur am Rande…
Fakt ist, zu satt macht auch träge und anfällig. Hungrige Menschen im übertragenen Sinne, gerade im asiatischen Raum, Indien z. B., müssen sich sehr anstrengen, sich bewegen, sich bilden, um ihren Lebensstandard zu verbessern. Sind wir vielleicht zu satt? Es lohnt, mal etwas tiefer darüber nachzudenken.
Bleiben wir immer auch hungrig, neugierig, wachsam und auch wehrhaft. Unsere Demokratie hat Feinde, im eigenen Land und in Diktaturen, die das Recht des Stärkeren über die Stärke des Rechts stellen.
Manchmal wünsche ich mir die Demokratie wehrhafter. Ich denke gerade an das Verfahren hier am Warener Amtsgericht, wo es um schwerste Beleidigungen ging, die der weltweit anerkannte Virologe Christian Drosten hier auf einem Zeltplatz über sich ergehen lassen musste. Sein 4-jähriger Sohn war dabei.
Die verbalen Angreifer beziehen nach eigenen Angaben Bürgergeld und werden somit von unserer solidarischen Gesellschaft getragen. Dank wäre hier m. E. angebrachter und bitte generell etwas mehr Respekt vor unseren Leistungsträgern, denen die arbeiten, unseren Wohlstand sichern, vom Arbeiter und Angestellten über Kulturschaffende bis hin zum Unternehmer und Wissenschaftler. Jeder von uns braucht auch den anderen. Die Angeklagten wollten auch Bill Gates als Zeugen vorladen lassen. Meine Güte, geht’s noch…
Beide Hauptangeklagten wurden verwarnt und erhielten 1 Jahr Bewährung auf die Verwarnung. Na dann, toi toi toi, dass sie innerhalb des Jahres nicht wieder auf Christian Drosten treffen und es mit ihnen durchgeht. Dann gibt’s wohl ein paar Euros Geldstrafe.
Freiheit heißt nicht, ich kann machen was ich will. Es gibt Grenzen. Und es gibt auch Regeln, wie im Straßenverkehr. Man fährt spurgetreu. Hält man sich nicht an diese Regel, crasht es pausenlos. Die Einhaltung von Regeln ist Voraussetzung für ein funktionierendes Miteinander, nicht nur im Straßenverkehr.
Jemand, der in Shanghai beruflich unterwegs ist, zeigte mir Fotos und Videos aus dem Stadtbild. Kameras mit Gesichtserkennung flächendeckend. Polizeipräsenz überall. Setzt man als Fußgänger bei rot einen Fuß auf die Straße, leuchtet für alle sichtbar ein Bildschirm auf mit dem Gesicht des „Regelbrechers“. Das macht man dort nicht allzu oft.
So kann man auch die Einhaltung von Regeln durchsetzen, basierend auf Angst, Zwang, bloß nichts falsch machen.
In einer Demokratie setzt man doch eher auf eigenverantwortliches Handeln, auf Vernunft, klappt leider nicht immer. „Freiheit in Verantwortung“, m. E. ein starker Satz unseres Bundespräsidenten a. D. Joachim Gauck. Oder zurück zu Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“.
Sie setzte sich übrigens in ihren Schriften sehr kritisch mit der Entwicklung in Sowjetrussland nach dem Oktoberumsturz 1917 auseinander. Sie kritisierte die Köpfe des Umsturzes, Lenin und Trozki und war eine glühende Verfechterin von freien geheimen Wahlen, Presse- und Versammlungsfreiheit (wurde mir in der DDR so verschwiegen).
Stalin hat Trotzki übrigens 1940 ermorden lassen, mit der Axt.
Ja, nicht systemkonforme Russen lebten und leben gefährlich und ihre Lebenserwartung lag und liegt auch heute noch oft deutlich unter dem Durchschnitt in der Bevölkerung.
Aber jetzt mal wieder etwas weiter Richtung Westen, hierher, zu uns. Wenn ich mich frage, ob ich links oder eher rechts bin, kann ich das gar nicht so genau bestimmen. Ich habe Wertevorstellungen und bin dankbar dafür, diese hier frei leben zu dürfen. Und meistens gelingt’s auch. Und ich kann mich als inzwischen parteiloser Atheist mit jeglicher Meinung frei äußern. Das ist echt stark.
Wenn ich Bekannte, Freunde auf unser Demokratiebündnis anspreche oder sie mich, dann höre ich manchmal:
Jetzt gibt es hier in Waren die Montagsdemonstranten mit wechselnden Themen, Unternehmer stellen ihre Forderungen und nun auch noch ein Demokratiebündnis?
Meine Antwort: Nein, nichts Neues, keine neue Bewegung. Das Bündnis vereint die vielen Demokraten, egal ob heute hier auf dem Markt, zur Zeit auf Arbeit, zu Hause oder im Garten. Es schließt alle ein, die fest auf dem Boden unserer Wertegemeinschaft stehen und natürlich auch vieles zu kritisieren haben, keine Frage.
Ich meine wirklich alle, egal ob man von seinem Demonstrationsrecht, wie hier in Waren montags, fast immer friedlich übrigens, Gebrauch macht oder auch nicht. Na klar finde auch ich unsere gegenwärtige, aber frei gewählte Regierung, nicht sonderlich prickelnd.
Und ich könnte hier 2, 3 Stunden aus der Hüfte geschossen meckern, übrigens auch zu Recht. Das ist auch gut so und wichtig, dass man das kann. Man versuche das in Russland. Versuch macht klug, sagt man so. Dem ist aber abzuraten. Selbst das Hochhalten eines leeren weißen Blattes Papier brachte dort, um es mal harmlos auszudrücken, Ärger.
Diese Treffen am Donnerstag sind anders gelagert. Sie sollen zur Festigung unserer Demokratie beitragen, das Miteinander fördern und Mut machen, sich gesellschaftlich zu engagieren, z. B. in Vereinen, Hilfsorganisationen. Nicht nur nehmen, auch geben. Nicht nur meckern, auch gestalten.
Hier geht es nicht um „Energiekosten runter“, dieser oder jener Politiker muss weg, sollte gehen, „free Assange“ habe ich gelesen, „Frieden“ bis hin zu „raus aus der Nato“ u.v.m..
Ach, und seinerzeit, Corona ist nur eine Grippe oder eine Verschwörung von Eliten, um die Weltherrschaft zu erlangen, Masken sind Quatsch, da gehen ja die Viren durch, was sogar stimmt.
Man stelle sich vor, jemand geht, lebensgefährlich erkrankt, nur in den OP, wenn das Operationsteam ohne Maske operiert. Na dann, gute Nacht. Und es wird bei uns alles aufgearbeitet, breit öffentlich diskutiert, auch die Fehler. Wer von uns ist fehlerfrei? Alle Einsichten sind nun mal nachträglich.
Wir können demonstrieren, geschützt von unserer Rechtsordnung, der Polizei. Ist das nicht großartig? Und genau darum geht es hier, den vielen Menschen, die genau das zu schätzen wissen. Hier geht es um das „für“ und nicht ausschließlich um das „gegen“. Aber wir gehören alle zusammen, sitzen in einem Boot.
Es gibt Ausnahmen. Das sind die, die zu scharf in die Links- oder Rechtskurve gedonnert sind. Dann verlässt man laut krachend die Bahn und kann das Rennen eigentlich nicht mehr gewinnen. Man ist rausgeflogen. Ich spreche von Extremisten. Es gibt menschlich keinen Unterschied zwischen den Demonstranten, ob montags oder donnerstags hier auf dem Markt, denn Ich unterstelle, dass die überwiegende Mehrheit von uns allen fest auf dem Boden der Demokratie steht.
Nur geht es dem Bündnis nicht in erster Linie um das Kritisieren, sondern darum, dass wir genau das verteidigen wollen, müssen, so dass das öffentliche Kritisieren, das Demonstrieren auch in Zukunft möglich bleibt. Wer will das nicht?
Ich hatte einen guten Freund. Er war Mitbegründer der Querdenkerszene hier in Waren und hatte mich taggleich über die Gründung informiert. Wir haben uns dazu offen und auf Augenhöhe ausgetauscht mit unterschiedlichen Sichtweisen.
Ich sagte ihm, dass der Begriff querdenken m. E. falsch am Platz ist. Querdenken ist eine Denkmethode. Darüber wurden großartige Dinge erfunden, Nützliches für die Menschen, eher ein Begriff aus der Forschung, der Wissenschaft.
Die Umbenennung hier in Waren folgte in „menschlich-stark-miteinander“, vielleicht auch mit beeinflusst durch unsere Gespräche. Ich unterstelle bei ihm und vielen anderen in diesem Fall gute Absichten. Vielleicht kam diesem und jenem auch in der Pandemie die Bühne abhanden.
Dieses Jahr wählt fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Hier sind im Juni Europa- und Kommunalwahlen. Wenn wir auch zukünftig den Sozialstaat wollen, die solidarische Gesellschaft, ein Klima, das Investitionen und Leistungsträger anzieht, Wohlstand, dann geht zu den Wahlen.
Brexit und auch Trump sind’s geworden, weil Menschen, besonders Jüngere, fest davon überzeugt waren, dass es nicht so weit kommen würde und es kam soweit.
Warum? Sie gingen nicht zur Wahl. Deren Stimmen fehlten dann. Lasst uns daraus die richtigen Schlussfolgerungen
ziehen. Wählt nicht eine Partei, zu der sogar die Italienische Rechte unter Frau Meloni auf Distanz geht.
Wählt die Demokratie.“
2024-05-02, Ronald Schützler
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